Das Kleidertagebuch eines italienischen Renaissancekleides,
welches nicht von „Auf Immer und Ewig“ inspiriert wurde
(Noch in Arbeit, daher noch nicht vollständig)
Detail aus der „Visitation“ von Domenico Ghirlandaio, 1485
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Die Schnittmuster
Das Tagebuch der Entstehung; aufgeteilt in:
Beobachtungen
Stoffkauf
Zuschneiden & Nähen
Ein paar Überlegungen dieses Kostüm betreffend, bevor ich mit dem Tagebuch beginne, bezüglich der…
Schnittmuster
Und während ich dann so nach passendem Stoff für das Unterkleid suchte, war ich gleichzeitig auch auf der Suche nach passenden Schnittmustern für Über- und Unterkleid.
Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, war es mir von vornherein klar, daß das Überkleid im Schrägschnitt zugeschnitten war, so das die Seiten des Rockes beim Schnittlayout praktisch entlang der Webkante des Stoffes laufen würden.
Jean Hunnisett hatte dieses spezielle Überkleid auch in ihrem Buch „Period costumes for stage and screen from Medieval to 1500“ per Drapierung und Schnittmuster behandelt, doch dieses Schnittmuster ist meiner persönlichen Meinung nach deswegen falsch, weil dort die mittlere Vorder- und Rückseite im Fadenlauf / Bruch und nicht im Schrägschnitt zugeschnitten werden sollen und somit die Seiten den Schrägschnitt haben – was aber im Gemälde definitiv nicht der Fall ist.
Ansonsten schien mir das Schnittmuster richtig, nur das es ebenfalls keine Möglichkeit aufzeigte, wie denn wohl die Front glatt nach hinten verlaufen sollte. Jean Hunnisett schlägt zwar einen Gürtel vor, aber sonst nichts.
Ich habe als entschieden, dieses Schnittmuster zu benutzen – mit der Ausnahme, daß ich die Schnitteile so drehen werde, daß sie eben die Seiten entlang der Webkante laufen lassen.
Für das Unterkleid habe ich entschieden, ein altes Schnittmuster von Simplicity zu benutzen – dieses hier:
Simplicity 8725 (wird nicht mehr hergestellt)
Ich rede natürlich lediglich von dem ‚blauen‘ Kleid in der Darstellung (oder vom goldenen ohne das rote Überkleid, wenn Ihr Euch das vorstellen könnt).
Dieses spezielle Schnittmuster ist ein sehr schönes und vergleichsweise erstaunlich ‚historisches‘ Schnittmuster, obwohl es von Simplicity ist – deren Schnitte ja öfter nett aussehen, aber mit ‚historisch‘ ansonsten nicht viel gemein haben.. Es hat überhaupt keine Prinzeßnähte oder Abnäher, sondern wird über die Seiten- und die hintere Naht in Form gebracht.
Die Nähte der Ärmel sind dem Rücken zugedreht, was auch historisch ist, und die Ärmel schließen an den Handgelenken mit unendlich vielen Knöpfen. Ich persönlich denke, daß dies hier eines der vielfältigsten und historischsten Schnittmuster ist, die Simplicity jemals auf den Markt gebracht hat.
Das einzige Problem bei diesem Kleid ist, daß es, wenn so zugeschnitten wie in der Anleitung angegeben, es unglaubliche Massen an Stoff verschlingt. Die Seiten haben jeweils zwei volle Halbkreise (!) Stoff als Godets eingesetzt. Dies führt zu einem Rockumfang von etwa 9 Metern, wenn der Rock ohne Schleppe zugeschnitten wird, und zu über 11 Metern wenn die Schleppe mitgemacht wird.
Wie auch immer… wenn ihr etwas Erfahrung habt und den ansonsten recht einfachen Schnitt ein wenig verändern könnt, so daß ihr die Seitengodets in, sagen wir, Viertelkreise verändert, dann könnt ihr den Stoffverbrauch (und damit natürlich auch den resultierenden Rockumfang) drastisch reduzieren.
Ich habe im Laufe der Zeit herausgefunden, daß man bei Benutzung dieses Schnittmusters zwischen 3 und 15 Metern Stoff so ziemlich jede Stoffmenge verbraten kann – und ich rede von Stoff, der mindestens 140cm breit ist!
Daher war dieses doch eher moderne Simplicity – Schnittmuster meine erste Wahl, als ich einen Schnitt für das Unterkleid suchte.
Übrigens, dieser spezielle Schnitt:
Den sammele ich schon seit etwa 2000, wenn ich mich recht erinnere. Ich besitze ihn in mehreren Größen und habe bei Ebay eine weltweite Suche gespeichert, die mich immer dann informiert, sobald ein neues ‚Simplicity 8725‘ eingestellt wird – oft bekomme ich dann ein weiteres Schnittmuster davon.
Ich bin sicher, ihr werdet mir ohne Einschränkung zustimmen, daß ein Schnittmuster auf diesem dünnen Papier – sobald es aufgefaltet und zerschnitten ist – im Prinzip schon dabei ist, sein Leben zu beenden.
Und wenn man einmal einen Schnitt gefunden hat, der einen so richtig begeistert, weil wirklich alles stimmt, und der zudem in eine Menge Dinge sehr einfach abgewandelt werden kann, dann sollte man zusehen, daß man diesen Schnitt mehrfach besitzt; sonst könnte es nämlich sein, daß man irgendwann ohne Schnitt dasteht und nur noch heult.
Mein größter Wunsch wäre es übrigens, daß Simplicity diesen Schnitt wieder herstellt.
Und nun – hier ist endlich das Kleidertagebuch.
Überlegungen, Planung und Stoffkäufe | |
ca. Mitte 2005 | Ich begann etwa Mitte 2005, dieses Kleid interessant zu finden. Es ist eigentlich ein sehr einfaches, dennoch sehr schönes Kleid – und äußerst interessant geschnitten.Das goldene und weiße Überkleid ist an den Seiten offen und gibt den Blick auf ein rotes, rautenförmig gemustertes Unterkleid preis. Die Tatsache, daß bei dem Überkleid das Muster an den offenen Seiten gerade herunterläuft, die ja in einem Winkel zugeschnitten sein müssen, um den Rock Fülle zu geben, sagt mir, daß die Vorder- und Rückseite dieses Überkleides jeweils aus zwei Teilen bestehen – links und rechts – und das diese Teile in Richtung der vorderen beziehungsweise hinteren Mitte im Schrägschnitt zugeschnitten wurden. Das würde dann auch erklären, wieso sich der Rock vorne so schön in Falten legt. Es ist ein ziemlich einfacher Schnitt, und das Einzige, was ich mich frage, ist, wie das vordere Oberteil nach hinten gehalten wird, so daß es derartig glatt und eng über der Brust liegt. Ein Gürtel, welcher nur über die vordere Hälfte läuft, könnte vielleicht eine Erklärung sein; oder auch so etwas wie mehrere Bänder, welche unter der Rückseite straff am Körper geschlossen werden – ähnlich, wie auch die Armschoner befestigt sind.Nachdem ich etwas weiter gesucht hatte, fand ich zwei andere Gemälde desselben Malers, die anscheinend dasselbe Kleid darstellen: Das erste (linke) Bild zeigt definitiv dieselbe Dame wie das zuerst gezeigte Bild. und sie trägt nicht nur dieselbe Kleidung, sondern auch ihre Frisur und auch ihre Pose sind identisch mit dem zuerst gezeichneten Bild. |
2006 | |
7. Februar | Dieses Kleid zu machen – oder sogar nur zu planen – war für mich außer Frage da ich niemals gedacht hätte, daß ich jemals einen bezahlbaren und dennoch passenden Stoff für das Überkleid finden würde. Und dann passierte es doch – ich stolperte quasi zufällig über ‚das‘ perfekte Stöffchen für das Überkleid – golden mit weißen Vögeln darauf. Es war allerdings ein Acetatbrokat. Da ich auch nicht sicher war, wo um Himmels Willen ich so ein Kleid jemals tragen könnte, zögerte ich eine ziemlich lange Zeit, den Stoff tatsächlich zu kaufen – auch, wenn er mit ~$12 / Yard ziemlich günstig war. Der Punkt, an dem ich den Stoff dann aber kaufen mußte, kam, als ich herausfand, daß der Verkäufer nur noch sehr wenig von dem Stoff hatte. Es waren noch genau 6 Yards übrig – und ich hatte ausgerechnet, mindestens 5,5 davon zu brauchen. Nachdem ich dann also noch einmal eine Woche darüber nachgedacht hatte, kaufte ich den Stoff an dem links angegebenen Datum. Das war eine Auktion von diesem Ebay-Verkäufer. |
9. Februar | Habe per Paypal bezahlt – die Verzögerung deshalb, weil ich zwei Tage nicht ins Internet kam. |
10. Februar | Dem Verkäufer zufolge wurde der Stoff verschickt. |
24. Februar | Habe eine Nachricht vom Zollamt bekommen, nach welcher mein Stoff dort jetzt liegt. Da heute Freitag ist und die früher zumachen, werde ich nicht vor Montag oder Dienstag meinen Stoff abholen können. |
25. Februar | Die Jagd nach einem passenden Stoff für das Unterkleid begann eigentlich schon, als ich den Stoff für das Überkleid fand. Das ursprüngliche ‚Visitation‘ – Fresko scheint ’nur‘ eine Art rautenförmig gemusterten Schnittsamtes zu zeigen, den ich auch durch ähnlich gemusterten Chenillesamt ersetzen könnte; aber das andere Gemälde zeigt ganz klar einen Rautensamt, welcher mit kleinen Blumen gemustert ist. Aus Gründen der Einfachheit, und um bei der Suche nicht komplett durchzudrehen, habe ich aber entschlossen, auch mit dem „Nur Rauten“ – Samt zufrieden zu sein. Das ist einfach? Nein. Wenn man in Deutschland wohnt und anscheinend alle Verkäufer von rautengemusterten Samten woanders sitzen – zumeist in den USA – und nicht nach Europa versenden möchten… *grrr*Nachdem ich also fast einen Monat exzessiv nach so einem Stoff gesucht hatte, beschloß ich dann, diese Suche nach *irgendeinem* passenden, Schnitt-, Ausbrenner- oder Chenillesamt erst einmal zumindest temporär aufzugeben. Dies erstens, weil diese Suche für meinen Geschmack mir momentan etwas zu lange dauert; zweitens, weil ich ganz genau weiß, daß in dem Moment, wo ich aufhöre zu suchen, vermutlich an jeder Ecke kilometerweise der perfekte Samt auftauchen wird; und drittens, weil ich einen akzeptablen Ersatz gefunden habe, welcher mich ebenfalls in die Lage versetzt ein nettes, halbwegs passendes Unterkleid zu nähen. Ich kann dieses ‚Ersatzunterkleid‘ später immer noch auf Mittelaltermärkten tragen, die meist ja keinen Dresscode haben, sondern eher nach dem Motto – wie sagte ein lieber Freund doch einmal? „Es ist lang, es ist lappig, dann isses Mittelalter“ – funktionieren… Der Stoff, den ich fand, ist von einem anderen meiner Lieblings – Ebay-Verkäufer – diesem hier. Es ist ein granatroter „Keltischer Kreuzbrokat“, welcher im Prinzip ja sogar über ein Rautenmuster verfügt. Ich weiß, daß das Original – Unterkleid eher orangerot als granatrot ist, aber ich weiß aus Erfahrung, daß ich, wenn ich irgendwas orangenes trage, reichlich tot aussehen werde, und daher entschied ich mich für granatrot (was ich im übrigen auch bei jedwedem Samt getan hätte – mich für ein dunkel- / burgunder- / granatrot zu entscheiden, meine ich).Meine Stoffwahl sollte jedem klar machen, daß ich mir keinesfalls anmaße, hier ein historisch korrektes Kleidungsstück nachzubilden. Die Außenseiten von Über- und Unterkleid werden aus Acetatbrokat gemacht sein, und innen füttere ich beide mit Baumwolle – was *beides* nicht historisch ist für ein Kleid der Renaissance. Während also die äußere Form und Erscheinung des Kleides historisch korrekt erscheinen mag, so wird es genau das aufgrund des verwendeten Materials nicht sein (ergibt das Sinn für irgendwen? Ja? Gut…). |
28. Februar | Ich habe meinen Stoff, hurra! Was für ein schönes Geburtstagsgeschenk (und neben einer Mail von einer Freundin und einem Anruf meiner Familie das einzige, was ich bekam)! Hier ist ein Bild (was zugegebenermaßen später aufgenommen wurde, als ich schon angefangen hatte, das Kleid zu machen): Er ist superschön, hat aber einen ganz kleinen Fehler: Es ist ein elfenbeinfarbener Stoff mit goldenen Mustern (Vögel etc.). Als ich den Stoff kaufte, nahm ich an, daß er reversibel sein würde – daß ich ihn also einfach umdrehen könnte, um einen goldenen Stoff mit weißen Mustern zu bekommen, wie er im Gemälde zu sehen ist – so, wie ich es eigentlich von diesen Acetatbrokaten gewohnt bin. Na, nun ratet mal? Ich lag falsch. Die Rückseite ist zwar golden mit weißen Mustern, aber irgendwie ’stumpf‘ und nicht so hübsch aussehend. Ich werde das Überkleid aber trotzdem aus diesem Brokat machen – was macht es schon, ob es Gold mit weiß oder weiß mit Gold ist…? Er ist wunderschön, und das ist ja wohl das einzige, was zählt… Momentan bin ich dabei, den Brokat zu wässern (um ihn vorzuschrumpfen – siehe Waschtipps hier – damit ich das fertige Überkleid nachher auch waschen kann); was wohl bis morgen dauern wird; danach muß er dann noch trocknen. Ich glaube, ich kann übermorgen mit dem Überkleid anfangen (und freue mich drüber wie eine Schneekönigin)! |
1. März | Bevor ich anfange, den Stoff zuzuschneiden, habe ich mir noch mal genau die oben schon angesprochenen drei Gemälde angesehen, um noch einmal den genauen Schnitt des Überkleides zu bestimmen. Hier sind die Ergebnisse meiner Beobachtungen:
Und dann ist da noch die seltsame Sache mit den Falten. Die Falten an den Seiten scheinen also notwendig zu sein, um das Oberteil richtig in die anliegende Form zu bringen. |
2. März | Ich habe angefangen, das Kleid zu machen!Beachtet bitte, daß das Kleid auf den Bildern nur ‚weiß‘ wirkt – isses aber nicht. Es hat in Wirklichkeit diese Farben: (ich schreibe das nur für den Fall, daß Ihr das Bild oben übersehen habt… 😉 )Hier sind also die ersten Bilder des zusammengepinnten Überkleides. Und nur, um mal zu zeigen, wie wichtig die Seitenfalten sind… …drei Bilder ohne die seitlichen Falten, welche – in Reihenfolge – das Kleid von vorne, der Seite und von hinten zeigen… …und hier sind noch zwei Bilder, auf welchen ich die Falten einfach mal angenadelt habe: Ich glaube, daß hier wohl jeder den Unterschied zwischen ‚mit‘ und ‚ohne‘ Falten erkennen kann. Es ist großartig, wie sie dafür benutzt werden können, um das Kleid zu formen. Es ging mir dann auch noch auf, daß ich eine Camicia brauchen würde – die italienische Chemise, also eine Art langes Hemd. Dies ist vorn unter dem geschnürten Unterkleid sichtbar, am Besten aber in diesem Bild:
Ich erinnerte mich daran, daß ich ja ohnehin eine Camicia machen wollte – für mein ‚Moretto‘ Kleid.: Da kam mir die Idee, nur eine Camicia zu machen, die ich mit beiden Kleidern tragen könnte. Die Camicia vom ‚Moretto‘-Gemälde ist etwas anders (und ja auch ca. 60 Jahre jünger – die ‚Visitation‘ ist von 1485, Das ‚Moretto‘-Gemälde ist von 1540; und nun überlegt mal, wie sich unsere moderne Unterwäsche seit den 1940ern verändert hat…), aber vom Grundschnitt her etwa gleich, wenn man mal von der Öffnung vorne und den Rüschen an Ausschnitt und Handgelenken absieht, welche auf dem ‚Moretto‘-Gemälde vorhanden sind, auf der ‚Visitation‘ aber fehlen. Sie ist aus gecrashtem Baumwollmull gemacht und so bequem, daß ich sie in der ersten Nacht nach der Herstellung zum Schlafen an hatte. Ich denke ernsthaft darüber nach, noch eine als Nachthemd zu machen. |
29. März 2006 | Der Stoff für’s Unterkleid ist endlich angekommen! Und natürlich sofort ins Wollwaschprogramm meiner Waschmaschine gewandert – um ihn a) etwas weicher zu machen und b) diesen entsetzlichen chemischen Geruch auszuwaschen, den neue Acetatstoffe so gerne haben. |